Mehr Fakten, weniger Quoten

Wieso die geplante EU-Verpackungsregulierung in die Irreführt.

Von Dr. Oliver Wolfrum, Generalbevollmächtigter Forum Ökologisch Verpacken

Die Vokabel „Mehrweg“ genießt einen besonderen Nimbus im politischen Raum. Verpackungen mehrfach zu verwenden, gilt vielen politischen Entscheidungsträgern als „umweltfreundlich“ (siehe auch den Beitrag zum Fachgespräch über „Verpackungen der Zukunft“ in diesem Newsletter). Der Gedanke ist nachvollziehbar: Mehrfache Befüllung einer Verpackung reduziert die Menge an Material, das recycelt oder thermisch verwertet werden muss. Soweit die Theorie. In der Praxis hängt die ökologische Vorteilhaftigkeit von vielen Faktoren ab: Umlaufzahlen, Transportentfernungen, Eigenschaften und Anforderungen der verpackten Produkte. Vielfach haben wissenschaftliche Untersuchungen für unterschiedliche Produktkategorien nachgewiesen, dass schwerere und standardisierte Mehrwegverpackungen eher im regionalen Warenverkehr und für gleichförmiges Packgut ökologische Vorteile gegenüber Verpackungen mit stofflichem Recycling ausspielen können.

 

Was für Bierflaschen oder Joghurtgläser gilt, ist umso valider bei Transportverpackungen. Gilt es etwa in innerbetrieblichen Abläufen in Industrie und Handel Waren auf kurzen Wegen zu transportieren, kommen Mehrwegbehälter schon aus wirtschaftlichen Gründen bevorzugt zum Einsatz. Gleichzeitig ist das auch die Lösung mit den geringsten Umweltwirkungen. Werden Produkte aber über weitere Strecken bewegt, sind Transportverpackungen aus Wellpappe im Vorteil. Auch bei der Belieferung privater Haushalte im E-Commerce können die vereinzelt angebotenen Mehrwegsysteme nicht überzeugen. Ihre Treibhausgasbilanz ist in den meisten Anwendungsfällen schlechter als die vergleichbarer Verpackungen aus Papier, Karton oder Wellpappe.

 

Eine pauschale Mehrwegpräferenz durch die Politik ist deshalb nicht zielführend auf dem Weg zu mehr Klimaschutz. Regelungen, wie sie in dem im November 2022 veröffentlichten Entwurf für eine EU-Verpackungsverordnung vorgeschlagen wurden, helfen der Umwelt nicht. Demnach sollen ab dem Jahr 2030 Haushaltsgroßgeräte zu 90 Prozent in Mehrweg verpackt werden. Für E-Commerce-Verpackungen soll ab 2030 eine Mehrwegquote von10 Prozent, ab 2040 von 50 Prozent gelten. Solche Pläne gefährden den seit Jahrzehnten etablierten, besonders effizienten und ressourcenschonenden Stoffkreislauf der Wellpappenverpackungen und sind ein direkter Angriff auf eine Industrie, die weltweit einen reibungslos funktionierenden Warenverkehr gewährleistet.

 

Würden solche Pläne Wirklichkeit, müssten die Hersteller von Kühlschränken und Waschmaschinen einen erheblichen Zusatzaufwand für Lagerung, Reinigung und Rückführung solcher Verpackungen betreiben – verbunden mit entsprechenden Umweltbelastungen. Für den Bereich der Versandverpackungen hat der Verband der Wellpappenindustrie bereits im Jahr 2021 im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung nachgewiesen, dass faserbasierte Verpackungen in zwei von drei untersuchten Fällen eine bessere Treibhausgasbilanz als die Mehrwegalternativen haben.

 

Die Erfahrung aus dem kürzlich von der Deutschen Umweltstiftung organisierten Fachgespräch zum Verbrauchergutachten „Verpackungen der Zukunft“ hat mich erneut bestätigt: Beim Thema Mehrweg ist besonders wichtig, immer den konkreten Anwendungsfall im Auge zu haben. Per Verordnung vorgeschriebene pauschale Quoten erreichen das Gegenteil des gewünschten Effekts: Mehr statt weniger Treibhausgas. Und zusätzlich enorme wirtschaftliche Schäden. Das von den Verbraucherinnen und Verbrauchern vorgelegte Gutachten gibt dagegen die richtigen Anregungen: Mehr Information, mehr Fakten, mehr Dialog. Die jeweiligen Stärken von Mehrweg und Stoffkreislauf sollten in einem intelligenten Zusammenspiel genutzt werden. So kommen wir weiter.